„BABO – DIE HAFTBEFEHL-STORY“ Wir reden über Sucht. Aber wir übersehen die Kinder, die mit ihr Leben.
Ich habe die neue Doku über Haftbefehl auf Netflix gesehen.
Sie erzählt von einem Jungen, der früh den Vater verlor – durch Suizid.
Von einem Kind, das zu schnell erwachsen werden musste,
das Verantwortung übernommen hat, um zu überleben.
Es ist eine Geschichte über Schmerz, über Trauma, über Sucht
und darüber, wie man versucht, den inneren Sturm zu übertönen.
Ich finde es wichtig, dass solche Geschichten erzählt werden.
Aber sie zeigen oft nur eine Seite.
Denn wo Sucht ist, sind oft auch Kinder.
Kinder, die Angst haben.
Die hoffen, dass heute ein ruhiger Abend wird.
Die spüren, wenn die Stimmung kippt – bevor ein Wort fällt.
Kinder, die sich verantwortlich fühlen, das Chaos zu kontrollieren.
Die glauben, wenn sie nur brav genug sind,
liebevoll genug, hilfsbereit genug,
dann hört Mama oder Papa vielleicht auf zu trinken.
Ich weiß das,
weil ich selbst so ein Kind war.
Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn die Angst in deinem Körper wohnt.
Wenn du auf Zehenspitzen durchs Haus gehst, um keinen Streit zu provozieren.
Wenn du versuchst, die Stimmung zu retten, obwohl du selbst kaum atmen kannst.
Wenn Gewalt, Beschimpfungen, Ohnmacht und Scham zu deinem Alltag gehören.
Und ich weiß, wie still es in einem Kind werden kann,
das zu viel erlebt hat,
aber niemandem davon erzählen darf.
Doch Sucht ist nicht nur Schmerz.
Sucht ist dreckig.
Sucht ist erschütternd.
Sie ist nicht das Bild aus Filmen, das man mit trauriger Musik unterlegt.
Sucht ist der Körper auf dem Boden.
Das Erbrechen im Flur.
Die Angst im Kinderzimmer, wenn Türen knallen.
Das Zittern, die Lügen, der Blick, der leer wird,
wenn die Droge übernimmt.
In der Haftbefehl-Doku sieht man Momente,
die schwer auszuhalten sind.
Wie er, high, mit seinen Kindern umgeht
und alle daneben stehen.
Niemand greift ein.
Alle funktionieren.
Weil man gelernt hat, dass Schweigen sicherer ist als Wahrheit.
Das ist das Gesicht der Sucht, das wir nicht sehen wollen.
Das, was Kinder jeden Tag sehen müssen.
Sucht deckelt Schmerz.
Aber sie deckelt auch die Gefühle der Kinder,
die mit ihr leben müssen.
Wenn wir also Filme wie diese als Abschreckung in Schulen zeigen wollen,
damit Jugendliche keine Drogen nehmen,
dann dürfen wir nicht vergessen,
dass in jedem Klassenraum jedes fünfte bis sechste Kind betroffen ist.
Kinder, die ihre suchtkranken Eltern jeden Tag erleben.
Die durch solche Filme vielleicht getriggert werden,
weil sie plötzlich ihr eigenes Zuhause auf der Leinwand sehen.
Ohne die Möglichkeit, darüber zu sprechen.
Ohne Schutz.
Ohne Halt.
Diese Kinder schweigen
aus Angst, aus Loyalität, aus Liebe.
Und während wir über „den Suchtkranken“ sprechen,
werden sie wieder übersehen.
Doch Sucht betrifft nie nur eine Person.
Sie zieht Kreise durch Familien, Partnerschaften, Generationen.
Auch die Menschen an der Seite eines suchtkranken Partners oder einer suchtkranken Partnerin tragen eine Last, die kaum jemand sieht.
Sie leben im ständigen Spannungsfeld zwischen dem Bedürfnis zu helfen
und dem Bedürfnis, sich selbst zu schützen
und manchmal bleibt nur der schmerzhafte Weg: zu gehen.
Nicht, weil sie aufgeben.
Sondern, weil sie überleben wollen.
Weil sie auch die Kinder schützen wollen.
Es ist eine komplexe, menschliche Entscheidung,
die Mitgefühl verdient – kein Urteil.
Der Film zeigt eine Perspektive.
Aber die Realität von Angehörigen, von Partner:innen und Kindern suchtkranker Menschen ist vielschichtiger, leiser, schmerzhafter.
Und genau deshalb dürfen wir nicht aufhören, über Sucht zu sprechen
aber wir müssen lernen, alle Perspektiven mitzudenken.
Bitte, lasst uns nicht aufhören, über Sucht zu sprechen.
Aber lasst uns anfangen, auch über die Kinder zu sprechen.
Denn sie tragen den Schmerz mit leise, tapfer, unsichtbar.
Wir müssen sie sehen.
Wir müssen sie schützen.
Wir müssen sie früh erreichen
damit sie im Leben eine echte, gesunde Chance bekommen.
Die Doku über Haftbefehl hat gezeigt,
was passiert, wenn Kinder zu früh alleine sind mit ihrem Schmerz.
Und ich weiß, was das bedeutet.
Denn ich bin selbst ein erwachsenes Kind aus einer suchtbelasteten Familie.
Ich habe gelernt, dass Heilung möglich ist.
Aber sie beginnt erst, wenn wir hinschauen.
Nicht weg.
Wenn du dich in diesen Zeilen wiederfindest
als Kind, als Partner:in oder einfach als jemand,
der spürt, dass etwas in dieser Geschichte auch deine eigene berührt
dann lade ich dich von Herzen ein.
Buche dir einen Mutivationstalk.
Ein geschützter Raum, in dem du gesehen wirst
mit deiner Geschichte, deinem Schmerz und deinem Mut.
Denn du bist nicht allein.
sei MUTIG. sei FREI. sei DU
Deine Christina
Weiterer Hilfsangebote:
www.nacoa.de (Chat, E-Mail, Telefonberatung für Kinder & Jugendliche, Erwachsene Kinder, Angehörige, Fachkräfte) oder
https://familienportal.de/familienportal/lebenslagen/krise-und-konflikt/krisetelefone-anlaufstellen
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